Die Posen

            Pose: gekünstelte Stellung, auf Wirkung bedachte Haltung (Meyers Lexikon)

 

                     Negativer Geltungsdrang                                                    Positiver Geltungsdrang

                     Schaulust (Voyeurismus)                                                    Zeigelust (Exhibitionismus)

 

                                                  Napoleon                                                                                    Sonnenkönig

 

                                                Kaiser Karl V                                                                                                  Maria Theresia

 

                                           Vier gekrönte Häupter - vier Temperamente                                                                                                                

 

                           Der negative Geltungsdrang

 

Wie ich schon an anderer Stelle darlegte, widerstrebt es den Voyeuren, sich in anzüglicher Weise einem Publikum zu präsentieren. Sie bevorzugen vielmehr eine symmetrische Haltung, die am unauffälligsten ist, aber oft recht starr oder lasch wirkt. Sie erzeugt zudem eine quasi religiöse Wirkung, die auch als Machtmittel eingesetzt werden kann. Die Abneigung gegen aufdringliches Begafftwerden zeigt sich oft in der Tarnung der Augen mit einer Sonnenbrille. Ihr Problem beim Posieren ist: Was fange ich mit den Händen an? Soll ich die Arme hängen lassen, bin ich dann ein Hänger? Soll ich die Fäuste ballen, besser nur in den Hosentaschen? Soll ich die Hände falten, zu religiös verschlossen? Soll ich die Brustschranke schließen, zuviel Abwehr? Ist die Raute ein Ausweg?

 

Zunächst zwei extrem unterschiedliche Posen aus der gleichen Zeit.

 

 

Schon im Alter von 13 Jahren zeigt Elisabeth von England ihre enorme Zwanghaftigkeit, die dann später in ihren Majestätsposen monströse Ausmaße erreicht. In symmetrischer Stellung zeigt sie streng korsettiert ihre Belesenheit. Der Blick ist eher abweisend als einnehmend. Kommunikativ ist ihre Haltung nur im Hinblick auf Befehl und Gehorsam. Autistische Verschlossenheit kennzeichnen schon ihre jungen Jahre. Ihre Ausstrahlung kommt von außen, und beruht auf Äußerlichkeiten (Attributen). Ihre Hände, obwohl das Buch nur locker haltend, vermitteln eine spinnenartige Gier nach Wissen. Sie will nicht für sich einnehmen, sie will herrschen und Achtung erzwingen.

 

Die Gioconda (die Heitere) von Leonardo strahlt von innen heraus. Sie präsentiert sich ohne Schmuck. Ihre unauffällige Kleidung ist nur locker drapiert. Die Haare hängen nachlässig gekämmt herab. Ihre Gesichtszüge sind weich und fast rund, ihr Lächeln bleibt rätselhaft, undurchschaubar, aber freundlich einnehmend. Die Hände mit sanften Fingern sind leicht übereinandergelegt. Ihre Erscheinung vermittelt eine unaufdringliche Faszination.

 

 

Die entsprechende Konstellation bei den Männern

 

 

Der Mann, der hier verbittert und verschlossen frontal in die Kamera starrt, wurde „Caesar“ genannt. In den 1850er Jahren war er einer der letzten Sklaven im Staat New York. Über ihn ist nichts Näheres bekannt. In aufrechter Sitzhaltung hält er eine Schriftrolle (die Verfassung?) wie ein Zepter oder Schlagstock in festem Griff dem Betrachter entgegen. Mit ihm ist nicht zu spaßen: er starrt vor Hass, kann sich aber beherrschen. Sein Temperament dürfte unschwer zu erkennen sein.

 

Recht treuherzig blickt uns hier Abraham Lincoln an. Vor und in dem Bürgerkrieg war er immer auf Ausgleich bedacht, und suchte Kompromisse. Aber die Entwicklung zerrte ihn in Entscheidungen, die seinem Wesen zuwider waren. In der aufgeheizten Stimmung des Bürgerkriegs wurde er zu einem Getriebenen. Gräuel musste er im Kriegsrausch mit verbrannter Erde gewähren lassen. Er sitzt hier versammelt in lockerer Haltung, offen dem, was auf ihn zu kommen mag. Zwischen seinen Händen hält er eine Lesebrille, das enthebt ihn der "Peinlichkeit" einer aufdringlichen Geste.

 

 

                               Zwei Philosophen und Humanisten mit deutlich unterschiedlichem Temperament

 

 

Bei Betrachtung dieses Bildes von Leonardo Bruni wurde ich stutzig. Wie kommt es dazu, einem Profil, das Verächtlichkeit ausstrahlt, die Würde eines frühen Humanisten zuzusprechen? Er war ein Mann des geschriebenen Wortes, und verhalf antikem Schrifttum durch eingängige Übersetzungen zu Durchschlagskraft. Ein Buch zeigt seine Belesenheit antiken Schrifttums. Es geht ihm nicht um materielle Preziosen, nur um geistige, und die Möglichkeit, sie ohne Zensur verbreiten zu dürfen. Seine Kleidung ist betont schlicht, lediglich seine auffällige blutrote Kopfbedeckung offenbart sein kämpferisches Naturell. Kleinkarierte Hasstiraden, die er zu Papier brachte, waren der Ausdruck seiner inhumanen Parteilichkeit: für Florenz und Papst, gegen Mailand, das er als rückständig ansah, und mittelalterliche scholastische Denkweisen. Als unkonventioneller Choleriker musste er wohl Dampf ablassen.

 

Die Sitzpose von Immanuel Kant (eine Stehpose kann ich mir nicht vorstellen) kann ich nicht als locker bezeichnen, sie strahlt eher Erbärmlichkeit aus. Ein überdimensionaler Kopf sitzt auf einem kleinen schmächtigen Körper. Die Hände hängen lasch herunter, den Kopf hält er gramvoll gebeugt: „Wie soll ich armes Männlein bloß Haltung zeigen?“ Ich halte ihn für stark autistisch: Nur beim Mittagsmahl, wo er Hof hielt, zeigte er sich gesellig. An der Tafel sitzend konnte ihm keiner was antun, und beim Essen hört man zu. Frauen hielt er sich mit exquisiter Höflichkeit vom Leibe. Da der Unterleib in seinen Betrachtungen nicht auftaucht, (was er mit allen Philosophen bis in jüngster Zeit teilt), ist sein Hoffnungszauber: Verstand und Vernunft, eine haltlose Kopfgeburt, auch wenn er bahnbrechende wissenschaftliche Einsichten hatte. Spontanes reaktives Handeln ist nicht seine Art; mit seiner Lebensführung sorgte er dafür, dass so etwas bei ihm nicht vorkommt. Persönliche Befindlichkeiten und Erlebnisse hält er geheim. Er hat sich mit einem Schutzwall von Gewohnheiten umgeben, von denen berichtet wurde, dass man nach ihnen seine Uhr stellen konnte. Er machte sich so unberührbar wie eine Kirchenuhr.

 

Abschweifung: Zum kategorischen Imperativ: „Handle nur nach der Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“. Das ist schon ziemlich geschwurbelt. In Anbetracht der vier Temperamente gehe ich davon aus, dass der Kopf nur das zulassen kann, was der Unterleib, den Genen gehorchend, zulassen kann. Jedes Temperament bietet Möglichkeiten Erfolg zu haben und zu scheitern. An welchem Temperament soll jetzt das allgemeine Gesetz andocken, wo die gesellschaftliche Mitte ein Wackelpudding ist, der zwischen Krieg und Frieden wabert. Was kann schon der kategorische Imperativ als Verhandlungssache, sofern er keinen ratlos werden lässt, ausrichten gegen den Imperativ der Gene? Hat er jemals mehr bewirkt, als eine Predigt von der Kanzel? Wer denkt im Krieg, dem „Vater aller Dinge“, noch an den kategorischen Imperativ?

 

                

Ein großer Geist mit unkonventioneller Pose

 

Eine düstere Stimmung durchzieht dieses Bild von Goethe in Italien. Es sieht auf den ersten Blick so aus, als würde er sich auf einem Diwan ausruhen: es sind aber zwei Steinblöcke aus einer Ruine. Um ihn herum sieht man Zeichen der Vergänglichkeit und des Verfalls, von Pflanzen überwuchert. Die exhibitionistische, sorgfältig arrangierte Pose wie auf einem Prä-sentierteller, ist unüblich für sein Temperament. Heitere Gelassenheit zeigt Goethe nicht, auch wenn seine elegante Aufmachung die depressive Grundstimmung aufhellt. Dann aber gleich wieder der überdimensionierte schwarze Hut: Welcher Italienreisender würde ihn ansonsten aufsetzen? Auch sein nachdenklicher Blick ins Leere lässt keine Heiterkeit aufkommen. Nicht umsonst hat er mit seinem frühen Meisterwerk „Die Leiden des jungen Werther“ eine Selbstmordwelle ausgelöst, womit er die Grundstimmung der damaligen Zeit traf, und auch seine eigene Gestimmtheit vor der französischen Revolution aufzeigte. In Italien hat er Morbidezza nachgetankt.

 

 

                      Zwei Revolutionäre mit ähnlichen Absichten

 

 

Auf diesem Bild stützt sich Savonarola auf ein Buch, und hält in seiner rechten Hand symbolisch das Blatt einer Ölpalme mit einer Girlande, mit der sich seine Zielvorstellung erraten lässt, Florenz zum neuen Jerusalem zu machen. Wichtiger als die Hl. Schrift ist das Donnerwort, das er seinen Gläubigen mit harscher Angst erzeugender Gestik entgegenschmettern wird. In einfacher schwarzer Mönchskutte ohne jeglichen Zierat gibt er mit strengem bohrendem Blick aus den Augenwinkeln zu verstehen, dass er mit dem Sündenbabel Florenz aufräumen und einen Gottesstaat errichten will, in dem er dann mit dem Kindergeheimdienst ein Klima der Denunziation schuf. Die „Verbrennung der Eitelkeiten“ mündete in gnadenlosen Terror, der schon auf dem Bild seinen schwarzen Schatten wirft. Das bisschen Farbe in dem Bild ist schon fast zuviel für sein Schwarzweißdenken. Ein Fanatiker blickt uns misstrauisch an. Dass Martin Luther, der sich ihn zum Vorbild nahm, nicht so wie er enden musste, verdankte er der Weisheit seines kurfürstlichen Beschützers, der seinen Extremismus in staatstragende und damit auch gewinnträchtige Bahnen lenkte.

 

Der russische Revolutionär polnischer Abstammung Felix Dserschinskij war ein fähiger Agitator und Organisator der russischen Revolution. An nichts anderes als die Macht des Terrors glaubend, zeigt er sich auf diesem Foto unnahbar mit der Brustschranke und jedermann misstrauend. Als Leiter der Geheimpolizei Tscheka veranlasste er „Säuberungsaktionen“, denen Tausende zum Opfer fielen. Seine Grausamkeit ist ihm zu deutlich anzusehen. Das verhinderte, dass er sich an die Führungsspitze setzen konnte: Stalin, dem er wesensmäßig ähnelte, war geschickter in der Verbergung seiner Ambitionen.

 

Was beide vereint, ist die fixe Idee der Säuberungen. Mit all ihren Waschungen und Reinigungsritualen ist sie ein zentrales Bedürfnis aller (quasi-)religiöser Glaubensfanatiker. Die Lehre muss reingehalten werden, da zählen keine Menschenleben.

 

                       

                     Weitere Männer des Glaubens

 

 

Dieses Portrait von Giovanni de´Medici, bekannt als Papst Leo X., ist hier mit einer recht seltsamen Geste abgebildet. Soll die halb geöffnete Greifhand als unbewusste Selbstdenunziation seine Raffgier offenbaren? Die exhibitionistische Geste steht in Kontrast zu seinem Temperament, welches als freundlich und verbindlich beschrieben wurde. Der intrigante Gemütsmensch liebte die Kunst, Festlichkeiten und die Verschwendung, zu dessen Finanzierung er den Ablasshandel erfand.

 

Bei dem Geistlichen, Kartografen und Astronomen Matteo Ricci (1552 - 1610), der die westliche Wissenschaft und damit auch seinen Glauben in China implantieren wollte, wird sowohl der religiöse Aspekt von negativem Geltungsdrang deutlich sichtbar, wie auch die Ge- und Verschlossenheit seiner Weltsicht. Hier steht die missionarische Verkündungsabsicht, welche Herzen öffnen soll, in Kontrast zur Hermetik seiner "ewigen Glaubenswahrheit", an der nicht zu rütteln ist. Kein Wunder, dass er die Chinesen nicht sonderlich beeindrucken konnte.

 

           Eine Peinlichkeit

 

 

 

Das Gemälde von Alonso Cano 1660 „Die Laktation des Hl. Bernhard“ verdeutlicht, wie Verehrungszwänge in Verbindung mit Wunder-glauben monströse Peinlichkeiten hervorbrin-gen. Die Jungfrau Maria, erhöht auf ihrem Postament mit Jesuskind, presst einen Milch-strahl, die ballistischen Gesetze mit hoher Treff-sicherheit missachtend, in den Mund Bernhards, der danach in infantiler Begierde lechzt. Seine kniende Pose, die Hände empfangsbereit öffnend, schwelgt er in entrückter innerer Ekstase ob der Treffsi-cherheit dieses Wunders. Ein Beobachter zeigt anbetungsvolle Ergriffenheit. Beide posieren zentriert.

Das Dasein eines Mönchs ist entbehrungsvoll, das mag etliche Verirrungen verständlich machen. Aber die größere Verirrung leistete sich der Maler, der hier seine Wunschvor-stellungen realisiert hat: ein fiktives Gemälde, aber in sich stimmig. 

 

 

                                   Sanfte Freiheitskämpfer

 

 

Der Dominikanermönch Bartolomé de Las Casas zeigt als Einziger in dieser Kollektion eine Beschäftigungspose, welche mich traurig stimmt.  1502 kam er nach Hispaniola, und nahm als Conquistador und Soldat an Feldzügen  gegen die Taino teil. Zum Abschied bekam er ein Stück Land und Zwangsarbeiter für Landwirtschaft und Goldsuche. Beides gab er  nach einiger Zeit wieder zurück, da er sich den dabei unumgänglichen Gräueln nicht gewachsen fühlte. Von Dominikanern  beeinflusst trat er ihrem Orden bei, und wurde in Wort und Schrift zum Führer der kirchlichen Opposition. Er sprach  den Eingeborenen in Amerika Menschenrechte zu, und prangerte die Plünderungen und hemmungslosen Mordbrennereien seiner Landsleute an, leider erfolglos. Die Gier nach Gold und Eroberungen war stärker als alle Worte. Das erklärt vielleicht seine bekümmerte Haltung.

 

Gandhi posiert hier makellos in seinem europäischen Anzug, bescheiden aber auch selbstbewusst reserviert. Ihn umgibt schon hier eine Aura, die Distanz schafft. Er fühlte sich als Rechtsanwalt in Südafrika erfolgreich, aber auch isoliert. Der Kostümwechsel in Indien wird so verständlich. Durch friedliches Erleiden den Erfolg im Befreiungskampf zu erringen, war sein Rezept, mit dem er das englische Kolonialregime in die Knie zwang. Nur er hatte dazu das nötige Charisma. Er demonstrierte damit wie kein anderer, welche Macht dem Masochismus innewohnt, auch wenn nach seiner Ermordung sadistische Gewaltexzesse kompensatorisch zum Gegenschlag ausholten.

 

              

                                      Potentaten

 

 

 

 

Der Maharadscha von Udaipur weigerte sich, sich als konventionelles Altarbild ablichten zu lassen. Auch wenn er auf die Zurschaustellung von Reichtum nicht verzichten konnte, posiert er nicht protzig. Sein Schwert stellt er demonstrativ nach vorne. Er war einer der wenigen Würdenträger, die sich mit der Kolonialverwaltung anlegten: Den höchsten militärischen Orden, der ihm verliehen wurde, hängte er seinem Pferd um. Seine Pose ist in aufgelockerter Symmetrie, europäisch beein-flusst, die eines Aufsässigen, der die bestehende Ordnung nicht billigen und theatralisch überhöhen möchte. Aber sein lauernder Blick verrät sein Temperament. Pose und Gesichtsausdruck fallen hier also etwas auseinander. Widersprüchlich ist auch, dass er sich hier mit exquisitem victorianischem Mobiliar präsentiert.

 

 

 

 

 

 

Der König von Old Calabar (Nigeria) will und kann nur mit seiner Brutalität sein Volk beeindrucken und zu Gehorsam zwingen. Er zeigt hier um 1895 als seine Machtmittel Stock und Pistole. Mit seinen zwei bewaffneten Leibwächtern in der Hocke baut er sich frontal in der Form eines Altarbildes auf. Der gemalte Hintergrund zeigt symmetrisch Säulen und Pilaster. Der Potentat hat sich am Oberkörper auch mit europäischen Insignien der Macht ausstaffiert, während der Unterleib mit Stammestracht gewandet ist. Seine Herrschaft ist zweifach gesichert: Jedem seiner Untertanen soll klar sein, was Sache ist.

 

Zwei Präsidenten

 

 

Beim Ausschneiden des Bildes von Joe Biden, stilisiert als Bruder Josef mit virtuellem Heiligenschein, aus dem SPIEGEL 2/21 fiel mir auf, dass auf der Rückseite exakt die Pose des Volkstribuns Trump mit geballter Faust mit ausgeschnitten war, ein seltsamer Zufall. Demonstrierte Innerlichkeit mit gefalteten Händen und geschlossenen Augen steht gegen Äußerlichkeit des Imponiergehabes, ein starker Kontrast. Wer liefert die bessere Show?

 

 

Der Kongo wird entdeckt

 

 

Hier sind zwei "Blutsbrüder" zu sehen, welche bei der Kongoexpedition für kurze Leidenszeit miteinander verbunden waren. Henry M. Stanley, von den Eingeborenen Bula Matari (Felsenbrecher) genannt, war ein durchsetzungsstarker Willensmensch, der nur seinem Ziel verpflichtet war, was sich an der frontalen Pose, dem durchdringendem Blick und seiner steifen Haltung erkennen lässt. Menschen- und Tierleichen säumten seinen Weg durch den Horror-Urwald. Da er schon auf dem Marsch an den Tanganjika-See die Mehrzahl seiner Expeditionsteilnehmer durch Überfälle, Krankheiten und Desertion eingebüßt hatte, brauchte er zur Fortsetzung seiner Expedition, die man auch als Kriegszug betrachten kann, der Hilfe von Tippu Tip, dem gefürchtetsten Sklavenjäger mit seinen Askaris. Dieser hat auf dem Bild mit unergründlichem Blick die Ausstrahlung eines biederen Kontoristen, der er anfangs auf Sansibar auch war. Nachdem er seinen Geschäftsbetrieb in das Kongobecken westlich des Tanganjika verlagert hatte, war er dort unangreifbar. Er war auf die Bekanntschaft mit Stanley mit seinem Geld erpicht, und bot ihm verehrungsvoll die Blutsbrüderschaft an, was Bula Matari nicht ablehnen konnte, ohne sein Planziel unmöglich zu machen.

Alle Temperamente stehen sich in Grausamkeit in nichts nach, alle können aber auch ganz lieb sein. Die Temperamente haben ihre Bedeutung vor allem im "Innenverkehr" der Kleingruppe, erst in zweiter Linie im gesellschaftlichen Verhalten.

 

             

            Auf verlorenem Posten

 

Emin Pascha alias Dr. med. Eduard Schnitzer aus Neiße, hier abgebildet als Gouverneur der türkischen Provinz Equatoria (in etwa Südsudan, 1880) war ein Mensch mit herausragender Intelligenz und vielfältigen Fähigkeiten. Als Pianist, Schachspieler und Biologe mit umfangreichen biologischen Sammlungen fiel er früh auf, und schonte sich nicht in seiner Arbeitswut. In Deutschland wurde er von seinen Professoren als leuchtendes Vorbild gelobt, fühlte ich aber beengt, und es zog ihn in die Ferne. In Albanien, wo er sich zuerst praktizierend niederließ, erregte er schon mit seiner Sprachbega-bung Aufsehen, und lernte dort neben mehreren Balkansprachen innerhalb kürzester Zeit auch türkisch und arabisch. Seine Anpassungsfähigkeit erregte Aufsehen: Er trat zum Islam über, und war bald fit in den muslimischen Ritualen. Außerdem verschaffte er sich mit seiner bescheidenen und zurückhaltenden Art viele Sympathien, sodass er nach Konstantinopel weiterempfohlen wurde. Von dort wurde er zu höherer Verwendung an den Khediven nach Kairo weiterempfohlen. Der ernannte ihn zum Bey von Equatoria. Dort erwarb er sich durch seine behutsam lavierende Art große Sympathien bei den vielfältigen Völkerschaften und Respekt bei den großen und kleinen Machthabern. Es ist hier nicht der Platz, seine unsäglichen Mühen in dem Sudd des Nils, seine diploma-tischen und kriegerischen Auseinandersetzungen zu schildern, wobei er immer noch seine akribischen Studien der Tier- und Pflanzenwelt weiter betrieb. Seine Provinz blühte auf und gedieh mit dem Export von Elfenbein, bis die Revolution des Mahdi mit seinen Scharen von religiösen Fanatikern ihn bis in den Süden zum Albertsee abdrängten. Die Verbindung nach Kairo war gekappt.  

Seine Pose als kleiner schmächtiger Mann ist höchst bescheiden, ohne Rangabzeichen und ohne Protz und Prunk. Lediglich sein Blick wirkt irritierend durch seine Fehlsichtigkeit mit stark vergrößernder Brille. Selbst in Deutschland hielt man ihn für einen Araber. Welch ein Kontrast zu den gekrönten Häuptern!

Aber sein Ende muss ich noch nachtragen. Die Zeit des Kolonialismus hielt in Afrika Einzug. Die Bedrängnis des zum Pascha beförderten und seine Identität sprachen sich in Europa und Amerika herum. Mit dem edlen Motiv seiner Errettung wurden mehrere Expeditionen in Marsch gesetzt, die auch dem kolonialen Besitz dienen sollten. Der oben schon erwähnte Bula Matari kam mit Auftrag des belgischen Königs durch den Kongo zu seiner Errettung. Als er mit den kläglichen Restbeständen seiner hungernden Expedition am Albertsee eintraf, musste ihn Emin Pascha erst einmal versorgen. Die beiden verstanden sich wie Feuer und Wasser. Emin begleitete Stanley dann nach Bagamoyo (gegenüber Sansibar), wobei er sich ihm gegenüber zum Hohn übertrieben unterwürfig benahm. Nach Europa zurück als Triumph für  Stanley wollte er aber dann doch nicht, und begab sich als Mitglied einer deutschen Expedition wieder an den Albertsee, von wo aus er sich gesundheitlich angeschlagen und lebensmüde mit einer kleinen Expedition in den Kongo auf den Weg machte, wo er auf Geheiß von Tippu Tip geköpft wurde.

Von ihm gibt es keinen Grabstein und kein Denkmal. Lediglich seine Aufzeichnungen in winziger Schrift wurden gerettet.

 

 

karibische Abenteuer

 

 

Der berühmte Naturforscher und Entdeckungsreisender Alexander v. Humboldt ist hier im Alter von 34 Jahren (1803) nach seiner Rückkehr aus Südamerika portraitiert. Seine Sitzpose zeigt ihn in gleichermaßen offener wie verschlossener Haltung. Die Farbgebung des Bildes ist warmes Pastell, weit entfernt von jeglicher Aggressivität. Seine Todesfantasien - an seinen Augen erkennbar- bediente er immer knapp dem Tod entrinnend auf seinen Forschungsreisen in Südamerika, mit strengster Wissenschaftlichkeit getarnt. Das verband ihn mit Goethe, den er verehrte.

 

Von der Kohlenträgerin auf Martinique mit ihrer selbstbewussten Ausstrahlung gibt es keine weiteren Informationen. Der Besitzer der Kohlenmine wird sich in sie verguckt haben und sie porträtieren lassen zu seinem stillen Vergnügen. Ihre stolze Pose spricht für sich.

 

 

          Ein akribischer Forscher und Zeichner

 

 

Der Naturforscher und Zoologe Ernst Haeckel posiert auf diesem Foto von 1904 selbstbewusst, aber auch unaufdringlich, nicht mit dem Betrachter kokettierend. In seinem Gesicht zeigt sich seine charakterliche Verwandtschaft mit Charles Darwin, dessen überzeugter Anhänger er war. Er zeichnete mit minutiöser Genauigkeit eine Vielfalt von Lebewesen, vor allem kleine und kleinste aus dem Meer, und zeigte dabei eine Vorliebe für symmetrische Formen, vor allem radialsymmetrische (Radiolarien). Sein starkes Selbstbewusstsein zeigt sich unauffällig in seiner raumgreifend spinnenförmig aufge-setzten Hand, mit der er sich sorgfältig an seine Objekte herantastete. Auf dem Tisch präsentiert er das Skelett eines Gibbons in Partnerschaft, der ihm in seinem Verhalten gänzlich unähnlich ist. Engstirniges Denken ist ihm fremd. Den Schädel hält er wie seinen Hut. Er lässt diese Requisiten als Symbole seiner Tätigkeit für sich sprechen, um sich kamerascheu nicht gar zu sehr in den Vordergrund zu drängen.

 

 

                    

                         Frommes Gehabe                                                            Bittere Not

 

 

Das Bild zeigt einen Filialleiter der Medici-Bank bei der Demonstration seiner Frömmigkeit. Cosimo, der ihn adoptiert hatte, hielt diese wohl für Unterwürfigkeit und Zuverlässigkeit - ein Beispiel für das Thema Christentum und das Geld. Die gefalteten Hände sind bittend nach oben gerichtet: Er will etwas von seinem Gott. Tommaso Portinari nutzte geschickt das Vertrauen von Cosimo und dessen mangelhafte Kontrolle, um selber ein großes Rad zu drehen. Entgegen den strengen Bestimmungen der Darlehensvergaben verlieh er große Summen an Machthaber höchst zweifelhafter Bonität, und leistete sich auch Unterschleife, was seine Filiale in Brügge in den Abgrund stieß. Da sein Beispiel Schule machte, schrammte die Medici-Bank knapp am Konkurs vorbei. Frömmigkeit und Heuchelei, ein Thema mit Fortsetzungen.

 

Erst zur Zeit der französischen Revolution gab es Künstler, die die Unterdrückung und die Entbehrungen der Unterschicht ins Bild setzten, wie hier von Jacques-Louis David mit seinem höchst realistischen Gemälde einer Gemüsebäuerin. Sie muss um ihre Existenz ringen, die Mühen haben sich in ihr Gesicht eingeschrieben. Sie zeigt sich dem Maler gegenüber reserviert mit der Brustschranke, und ihr Blick ist hart und empört. Ihren Stolz lässt sie sich nicht nehmen.

 

 

                    Der positive Geltungsdrang

 

Die Zeigelustigen benötigen zu ihrer Befriedigung die Aufmerksamkeit der Voyeure. Ihre Posen sind daher auffälliger und manchmal bewusst provozierend. Sie lassen sich daher nur schwer klassifizieren und auf eine Norm bringen. Nur wenn sie eine Norm, etwa die Symmetrie, missachten, ist ihnen Aufmerksamkeit gewiss. Unbewusst buhlen sie darum.

 

                   Erfreuliche Aussichten

 

 

 

Bei diesem tibetischen Pferdeknecht aus dem Kuku~norgebiet (nordöstliches Tibet) ist die Einschätzung des Temperaments völlig unpro-blematisch. Seine überwältigende Ausstrah-lung als Herzensbrecher ist eine Seltenheit. Sie zeigt, dass das Temperament unabhängig von Stand und gesellschaftlichen Gegebenheiten ist. Seine gewinnende Portraitpose, welche jegliche Symmetrie meidet, ist von lockerer Freundlichkeit bestimmt. Die Pferde sind zu beneiden.

 

 

              Entdecker der Wissenschaft

 

 

Christiaan Huygens gelang durch die Erfindung des spiralförmigen Torsionspendels (Unruh) eine deutliche Verbesserung der Uhren, die eine exakte Astronomie überhaupt erst möglich machte. Er entdeckte auch die Wellentheorie des Lichts. Er zeigt sich hier völlig unverkrampft und ohne Wichtigtuerei mit zwei Büchern als einzigem Requisit.

 

Der Mikroskopiker Anthoni van Leeuwenhoek hatte als Portier des Delfter Rathauses genügend Zeit und Erfindungsreichtum, seine selbst gebauten Mikroskope entscheidend zu verbessern, sodass er damit Einzeller sichtbar machen konnte. Er zeigt hier auf ein Bauteil seines Mikroskops in locker angelehnter Pose. Christiaan Huygens, der seine Entdeckungen anfangs bezweifelte, ließ sich später überzeugen, und wurde sein Freund und Förderer. Beide sind nicht nur von gleichem Temperament, sondern darüber hinaus auch in ihrem Wesen sehr ähnlich. So ähneln sich auch ihre Posen.

 

 

                          Entdeckungsreisende

 

 

 

 

Der große Entdecker James Cook präsentiert sich auf diesem Gemälde von John Webber in idealtypischer Pose für positiven Geltungsdrang. Mit zur Seite geschobenem Mantel zeigt er sich offen für alles, was auf ihn zukommen mag. Keine großartige Landschaft lenkt von ihm ab. Seine Ausstattung ist auf ein Minimum reduziert: er hat es nicht nötig sich auszustaffieren. In ausgesprochen lockerer Haltung hat er sich an eine Klippe angelehnt, als wäre er von seiner „Endeavour“ soeben an Land gegangen. Sein Gesicht zeigt freundliche Entschlossenheit verbunden mit einer gewissen Härte.

 

 

 

 

 

In den 1860er Jahren unternahm der Abenteurer Gerhard Rohlfs als Mustafa-el-Tobib mehrere Reisen in und durch die Sahara. Er konnte zwar alle Suren des Korans fehlerfrei aufsagen, aber sein Akzent und die Hautfarbe verrieten ihn als Ungläubigen. Um nicht die Begehrlichkeiten der Tuaregs zu wecken, verdingte er sich anfangs als Kameltreiber. Das diente seiner Sicherheit, weil bei denen nichts zu holen war. Als er aber 60 Maria-Theresien-Taler umtauschen wollte, kam heraus, dass er wohlhabend war, und kam bei dem Raubüberfall seines Führers dreifach angeschossen nur knapp mit dem Leben davon. Die Zeichnung mag von ihm selbst stammen, und zeigt ihn in unkonventioneller Sitzpose für den europäischen Geschmack. Die Tuaregs hätte er mit seinem vorgestreckten Schuh beleidigt.

 

 

                  Misslungene Integration

 

 

Das Foto zeigt die Prinzessin Sayyida Salme, Prinzessin von Oman und Sansibar. In Sansibar verliebte sie sich in den Kaufmann Rudolf Heinrich Ruete, und musste auf ein englisches Kriegsschiff flüchten, als sie mit einem Sohn schwanger wurde.

Durch ihre Heirat mit Ruete wurde sie deutsche Staats-bürgerin, und ließ sich als Emily Ruete taufen. In Deutschland beklagte sie sich über klimatische und menschliche Kälte. Als ihr Mann schon nach vier Jahren tödlich verunglückte, irrte sie in Deutschland umher. So wurde sie nirgendwo heimisch, wie auch schon in Sansibar nicht. Das spiegelt sich in ihrer extrem exzentrischen Pose des Fotos, das 1868 in Hamburg entstand, wo ihr Ehemann geschäftlich tätig war. Der gedrechselte Stuhl in hanseatischer Klobigkeit, auf dem sie sich hier präsentiert, offenbart im Kontrast zu den orientalischen Gewändern ihren inneren Zwiespalt. Anlehnen will sie sich nicht. Die Sandalen sind orientalisch, der vorgestreckte Fuß ist es nicht.

 

 

             Viel Wind

 

 

 

Das schelmisch ausdrucksvolle Gesicht bei konventioneller Pose von Jan Leeghwater auf dieser Radierung hat es mir angetan. Als hochkarätiger Spezialist für Windmühlen und Pumpen zur Entwässerung schuf er die Voraussetzung zur Landgewinnung durch Trockenlegung von Seen und Poldern. Seine Windmühlen trieben auch als Motoren die industrielle Entwicklung Hollands voran. Entsprechend präsentiert er sich hier als humorvoller Pusterich.

 

 

 

Ein Potententat in Florenz präsentiert sich als Renaissancemensch

 

 

 

Lorenzo il magnifico vermeidet alle vormaligen Herrscherkonventionen. Er ist der Visionär des befreiten Individuums, sofern es das dazu nötige Geld hat. Ist es der Geldbeutel, den er mit seiner linken Hand betastet? Seine Haltung kann ich nur in unaufdringlicher Aufdringlichkeit als arrogant lässig bezeichnen, besonders seine langfingerische rechte Hand, die von der Stuhllehne herabhängt. Sein Kopf ist nach-denklich gebeugt. Auf prunkvolle Kleidung und wertvolles Geschmeide kann er verzichten. Sein kultureller Reichtum ist im Hintergrund mit erlesenen Kunstwerken der Renaissance angedeutet, deren Förderer er war. Er prunkt ohne Protz, aber mit eminentem Selbstbe-wusstsein, und vermeidet geschickt bedrohliche Ausstrahlung.

 

 

 

 

                  

 Ein bedeutender Staatstheoretiker

 

 

Niccolo Macchiavelli sitzt mit seinem Schelmengesicht vor bedeutungslosem Hintergrund. Weder mit Schön-heit, noch mit Rang, Auszeichnungen und Reichtum kann er werben. Von Bedeutung ist allein sein aufge-schlagenes Buch, das er auf seinem Schoß hält, und auf das er mit zwei weit gespreizten Greiffingern hinweist. Den belehrenden Zeigefinger muss er sich verkneifen, aber vom Inhalt dieses seines Buches möchte er profitieren. Es wird wohl Il Principe sein. Darin preist er Lorenzo überschwänglich für seine Niedertracht und Amoral bei der Machtausübung als staatstragend und notwendig, mit der Begründung: Die Menschen sind nun mal, wie sie sind, und brauchen das. Sein Blick ist allerdings nicht auf das Buch gerichtet, sondern leicht schielend geht er sinnierend darüber hinaus ins Ungewisse. Seine Lage lässt es nicht zu aufzutrumpfen, vielmehr will er mit Schmei-cheleien, mit denen er die Brutalität und Rücksichts-losigkeit seines verehrten Fürsten in dem Buch feiert, die Zuneigung dessen Enkels Lorenzo für eine Rückkehr in den Staatsdienst erringen, was ihm aber nicht gelingen sollte. Dieser war schwach, und konnte sich seinen Großvater nicht zum Vorbild nehmen.

 

 

                     Ein kindlicher Draufgänger

 

Ein Abenteurer mit kindlichem Gesicht und hochmütigem Blick landet im Alter von 24 Jahren aus Italien kommend mit nur sieben Gefährten an einer schottischen Insel. Charles Edward Stuart ist der Enkel des vertriebenen Königs Jacob II. von England, und möchte die Stuarts wieder an die Macht bringen. Die grimmigen Highlander konnte er  als „Bonny Prince Charly“ betören. Er bot die ideale Projektionsfläche für homosexuelle Fantasien, die sich mit dem Glauben an das "Blut" tarnen. So erwirbt er mit magischem Blick und taktischem Geschick eine stürmisch wachsende Anhängerschaft unter den Jakobiten, welche der schottischen Selbständigkeit nachtrauern, und ihn als Erlöser feiern. Er erreicht mit seiner Truppe einen schnellen Sieg bei Edinburgh über die englische Besatzung. Ohne kriegerische Erfahrung fällt er dann aber vorschnell in Nordengland ein, wo er vor der übermächtigen englischen Armee zurückweichen muss, und nach nicht einmal einem Jahr in der Schlacht von Culloden 1776 endgültig geschlagen wurde. Ihm gelingt zwar die abenteuerliche Flucht auf ein französisches Kriegsschiff, aber die Engländer rächen sich mit verbrannter Erde und wahllosen Massenmorden an seiner Anhängerschaft. Ihm selbst blieb in Rom nur ein langes Leben und der Alkohol, um seinen Ehrgeiz zu ertränken. Für die Schotten war es das Ende der Selbständigkeit und der letzte bewaffnete Aufstand.

 

 

                              Ein empfindsamer Todesengel

 

Von diesem Bild geht eine seltsame Faszination aus. Es zeigt den Anführer einer Söldnertruppe: Gian Galeazzo Sanvitale, Condottiere aus Fontanellato bei Parma. Der schwarze Umhang teilt das Bild ungewöhnlich in Oben und Unten. Unten sieht man einen Stuhl mit Armlehne, auf dem der Krieger diagonal verdreht posiert. Mit seiner rechten Hand zeigt er verstohlen einen Denaro, den er nur mit Handschuh anfasst, schmutziges Geld. Den linken Handschuh hat er ausgezogen: So kommt seine feingliedrige Hand mit den sensiblen Fingern voll zur Geltung, die er nicht mit Ringen überladen muss. Er lässt hinter seinem Ärmel nur die Hälfte des Griffs seines Schwertes hervorlugen. Allein die Ritterrüstung schafft eine Verbindung zum oberen Teil des Gemäldes, wo hinter ihr sich ein Totschläger ins Bild drängt. Rechts an der Wand sieht man Waldesgrün, welches so gar nicht ins Bild zu passen scheint. Aus dem Schwarz des Umhangs weisen gelockte Bartsträhnen auf das Faszinosum des Gesichts mit dem magisch saugenden Blick, der nur frontal seine Wirkung entfalten kann, wozu er den Körper drehen musste. Das hat der Maler Parmigianino 1524 perfekt getroffen. Das Haupt wird gekrönt von einer blutroten ausladenden Kappe, schief aufgesetzt. In seiner rechten Hand zeigt er mit Handschuh eine Münze. Seine Hofburg bei Parma machte Gian Galeazzo zu einem Kunstzentrum, bei dem auch dieses Bild entstand. Ich betrachte ihn als einen verhinderten Künstler, da er sich und seine Söldnertruppe ständig wechselnd an meistbietende Machthaber in Dienst stellen musste, um seine wenigen Herzogtümer vor Übergriffen zu schützen.

 

 

Ein berühmter Schauspieler und Glaubenskrieger

 

Jan Bockelson sah gut aus, war überaus beredsam, und zeigte schon früh seine Neigung zur Schauspielerei. Er verfasste, inszenierte Schauspiele, und wirkte auch in ihnen mit. Als jugendlicher Jünger von Jan Matthys, der bereits in Münster eine Diktatur der Wiedertäufer errichtet hatte, und ihn erst wenige Monate zuvor getauft und zu seinem Stellvertreter ernannt hatte, sah er die Gelegenheit gekommen, sein Nachfolger zu werden, als Matthys im Bewusst-sein seiner Unverwundbarkeit bei einem leichtsinnigen Ausfall aus dem bela-gerten Münster in Stücke gehauen wurde. Seine Eignung als Begründer eines tausendjährigen Gottesreichs im „Neuen Jerusalem“ zeigte er gleich nach Amtsantritt durch einen Schaulauf durch Münster, nackt nach Art der Adamiten, was seine Anhänger als göttliche Erleuchtung ansahen. Seine Schreck-ensherrschaft mit Glaubensterror auszubreiten, ist hier nicht der Platz. Die Parallelen zum „Islamischen Staat“ in Rakka, anderen Gottesstaaten, oder zu der französischen Revolution, sind gar zu verblüffend. Als König Johan van Leiden und als Messias der Endzeit wurde er zum Zyniker der Macht nach dem Motto: Dem Reinen ist alles rein. Sein luxuriöser Hofstaat mit Harem beruhte auf der Beschlagnahme aller Vermögenswerte der Bewohner, denen er eine klassenlose Gesellschaft auf der Basis der Abschaffung des Reichtums versprach. Für die verhungernde Bevölkerung, soweit sie noch nicht in Massengräbern verschwunden war, veranstaltete er makabre Schauspiele im Dom und prunkvolle Auftritte der Selbstinszenierung. Nach Eroberung der Stadt durch die Soldateska des Fürstbischofs, der noch nicht einmal die niederen Weihen besaß, wurden zusammen mit Bockelson alle Anführer der Täufer zu Tode gefoltert. Seine entstellte Leiche wurde in einem Käfig an einem Kirchturm aufgehängt.

Der hier gezeigte Kupferstich wurde erst nach seinem Tod 1535 von Heinrich Aldegrever nach dessen Erinnerung vermutlich auf Geheiß des Bischofs gefertigt. Die Pose ist somit fremdbestimmt, wirkt aber durchaus realistisch, zeigt die Symbole und Insignien seiner Macht, wie es einem König gebührt. Sie ist erstaunlich frei von Häme und Herabwürdigung. So hätte sich Bockelson auch zu seinen Lebzeiten verewigen lassen können. Ich frage mich, wie der Künstler aus der Erinnerung dieses wohlmeinende Bild schaffen konnte, ohne ihm zu nahezustehen. Was hielt wohl der Fürstbischof von dem Bildnis?

 

 

 

Ein "Gesetzloser"

 

 

 

Rob Roy, ein Anführer aus dem schottischen Highlander-Clan der Mc.Gregors ist hier exem-plarisch für positiven Geltungsdrang dargestellt. Seine breitbeinige Pose mit Gewehr und Schwert vermeidet alle Symmetrien, und zeigt ihn als stämmigen Dynamiker in einer Haltung mit vielen Diagonalen.

Er hatte zwar studiert, war aber für das Kriegshandwerk wie geschaffen, dem er sich schon im Alter von 18 Jahren widmete, in einer Zeit um 1700, als die Stammesfehden wegen Viehdiebstahl kein Ende nahmen. Er anerkannte nur die Stamm-esgesetze, und wurde so von den Engländern als Gesetzloser verfolgt. Sinnlose Gewalt lehnte er ab. Wie Robin Hood nahm er das Geld nur von den Reichen, und schonte die kleinen Leute, die ihn als freundlichen Helden verehrten. In den politischen Wirren um die Stuarts lavierte er geschickt, und machte Kompromisse, sodass er bei aller Verfolgung betagt einen gewaltlosen Tod starb.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die Pest geht um 

 

 

Giovanni Boccaccio, der Autor des Decameron, tritt hier aus dem Rahmen des Bildes hinaus, wie auch er und sein berühmtes Buch in der Zeit um 1350 aus dem Rahmen des Gewohnten herausfällt. Sein Metier ist die Literatur, was schon der Hintergrund mit dem apokryphen Gewirr fremdländischer Buchstaben und Zeichen andeutet. In verdrehter Haltung präsentiert er in auffälligem Talar der Gelehrsamkeit locker mit seltsam affektierter linker Hand sein Buch, in dem er recht frivol die Realitätsflucht vor den Gräueln der Pest von einer Gemeinschaft von Florentinern der gehobenen Gesellschaft schildert, welche sich mit libidinösen Geschichten in Orgien der Verdrängung zehn Tage lang die Zeit vertreibt.

 

Er blickt den Betrachter von oben herab hochmütig an, alles Gewöhnliche verachtend. Mit seinem Buch, mit dem er den menschlichen Schwächen auf den Grund geht, wurde er berühmt, und wurde in der Folge von Florenz mit diplomatischer Tätigkeit in ganz Europa beauftragt. Zusammen mit seinem engen Freund Francesco Petrarca erforschte und übersetzte er Schriften des klassischen Altertums, und gilt als einer der Wegbereiter der Renaissance.

 

                          Eine kaiserliche Domina

 

 

 

 

Äußerst selbstbewusst präsentiert sich Maria Theresia als Herrscherin. Mit der ausge-streckten rechten Hand umgreift sie den Knauf eines Zepters, ihre linke schwebt ohne Halt in der Luft. Sie sitzt schräg vorne auf dem Kaiserthron, ohne sich anzulehnen. Mit der Krone auf dem Podest will sie ihren Kopf nicht belasten. Sie zeigt dort lieber einige ihrer Preziosen. Aber auf Klunker an den Händen kann sie verzichten. Mit ihrer robusten Körper-lichkeit und Haltung  ist sie beeindruckend. Der Hintergrund bleibt schemenhaft, er könnte von ihrer Erscheinung ablenken.

 

 

                         Ein Charmeur

 

 

 

 

Der Fürst von Metternich war die dominante Figur bei dem Wiener Kongress, sowohl was die politischen Verhandlungen, wie auch das gesell-schaftliche Rahmenprogramm der Bälle in Schloß Schönbrunn betraf. Mit seinem diplomatischen Geschick, immer auf Ausgleich bedacht, führte er die politische Restauration zum Erfolg. Er sitzt hier betont locker und leicht schief angelehnt auf seinem Sessel, seitwärts blickend jegliche Konfrontation mit dem Betrachter vermeidend. Ein echter Bühnenstar, der seine Bewunderer nicht begaffen darf.

 

 

 

                     Ein äußerst bedeutender Musiker und Komponist

 

 

Franz Liszt posiert in seinem Schlafzimmer vor der weißen Wand und wendet seinen Blick zur Zimmerdecke, als hole er da seine Inspiration. Alles außer ihm ist nebensächlich, er allein ist von Bedeutung. Er feiert sich selbst als Genie. Er muss überall im Mittelpunkt stehen, alles andere wäre eine Beleidigung. Daneben eine Aktionspose: Liszt ist in Verzückung, jedes Geräusch aus dem Publikum würde seine Andacht stören. Nur tiefe Ergriffenheit kann ihm frommen. Sie hemmt den Hustenreiz der Zuhörer.

 

 

                        Ein smarter Trickser und Heimlichtuer

 

 

 

 

Hier blickt ein hochgelehrtes Schlitzohr, Franz Wallraf sich harmlos gebend, knapp an mir vorbei. Was der Theologe, Philosoph, Mediziner und Rektor an der Universität Köln (bis die Franzosen einmarschierten) hier liest, hält er verborgen. Auch die Zettel geben nichts preis. Als Kunstliebhaber fand er seine Berufung: Er führte äußerst geschickt die Franzosen hinters Licht, die für ihre Kriegskasse in großem Stil bedeutende Kunstwerke beschlagnahmten, und gleich wieder verhökerten. Den Verkaufsdruck der Kunstbesitzer und die Unkenntnis der Franzosen ausnutzend, erwarb er mit Hilfe reicher Gönner eine respektable Sammlung, und rettete sie damit vor den Franzosen. Als Kunst-Messi konnte er sich nur schwer von seinen Erwerbungen trennen. Erst kurz vor seinem Tod 1818 vermachte er seine Schätze den Museen der Stadt Köln. Wer würde ihm das alles schon angesichts seiner bescheidenen Pose zutrauen?

 

 

                              Preziosenmessies

 

 

Der Maharadscha von Jodhpur demonstriert hier, wie man auf einem Altarbild Unordnung stiften kann. Stark behängt nimmt er hier eine exzentrische Sitzpose ein. Alles ist hier etwas schief geraten, auch die Ausrichtung der Kamera. Ein Langschwert und gleich zwei Schilde müssen mit ins Bild. Der Kopf ist mächtig aufgetakelt, der Blick lauernd.

 

Auch der Radscha von Bundi stellt sich als kriegerischer Radjput in dem konventionellen indischen Schema eines Altarbildes dar, nur mit abschreckend kriegerischem Gehabe. Sein Schwert ragt über das mächtig in vielen Schichten aufgeplusterte Rockgebilde hinaus, mit dem er sich breit macht. Er war aber keineswegs aufsässig gegenüber der Kolonialverwaltung, die ihm eine kleine Armee überließ. Nach unten treten, nach oben buckeln, könnte seine Devise gewesen sein.

 

 

                  Ein Digger

 

 

Dieses Foto (Daguerrotypie?) zeigt einen Goldgräber zur Zeit des kalifornischen Goldrauschs. Seine angeberische Pose zeigt Entschlossenheit, Wehrhaftigkeit und Gier. Seine Schaufel nutzt er als drittes Bein, das seine auffällig zurückgelehnte Haltung im Kampf mit der Schwerkraft stützt. Sie ist das Gegenteil von Brust raus, Bauch rein. Mit den in der Hüfte aufgestützten Armen macht er sich breit, und überspielt seine Unsicherheit. Als Chaot muss er sich in der chaotischen Goldgräberszene behaupten. Wehrhaft ist er allemal. Mühevoll musste er die Preziosen ausbuddeln, welche die obigen beiden allein durch ihre Herkunft raffen konnten. Alle eint die Gier.

 

 

Eine Außenseiterin

 

 

Im Jahr1876 kam Martha Jane Cannary, besser bekannt als Calamity Jane im Gefolge von Wild Bill Hickok, einem Revolverhelden, nach Deadwood, einer illegalen Goldgräbersiedlung im Reservat der Sioux, in der Gesetzlosigkeit herrschte. Ihre Tätigkeiten waren äußerst vielfältig, da sie bei ihrem unstetem Charakter es nirgendwo längere Zeit aushielt, und äußerst streitsüchtig war. Nachdem Wild Bill, ihr angeblicher Ehemann, schon nach wenigen Tagen im Casino erschossen wurde,  jobbte sie als Tellerwäscherin, Köchin, Bedienung, Tänzerin, Postkutschenfahrerin, Saloondame, Krankenschwester, Goldgräberin. Nach dem frühen Tod ihrer Mutter war sie vormals Kindermädchen für ihre jüngeren Geschwister sowie Armee-Scout für General Custer. Nach dem Tod ihres Vaters trug sie nur noch Männerkleidung, und gab sich auch der Laster der Männer hin: rauchen, Whisky trinken, Tabak kauen, fluchen. Ihren Hang zur Theatralik lebte sie 1893 in Buffalo-Bills Wildwest-Shows als bewunderte Reiterin und Kunstschützin aus. 1903 starb sie verarmt und isoliert.

In lockerer Pose mit Stand- und Spielbein, nachlässig zurechtgemacht, mit schief aufgesetztem Hut zeigt sie unbeugsame Entschlossenheit.

 

 

 

                        Ein einflussreicher Politiker

 

 

Bevor Bismarck in Würde erstarrte und den Staatsmann darstellte, war er noch unbekümmerter. Sein Kinderbild zeigt ihn als fleißigen Streber, der um Anerkennung wirbt, und Liebling seiner Erzieher sein will. Auch die Zeichnung von ihm als Student offenbart nichts anderes, wenngleich die Sitten lockerer geworden sind. Die lange Pfeife spricht für eine Neigung zur Theatralik.

 

 

Ich beende diese Bilderserie wieder mit gekrönten Häuptern, allerdings nicht von Erfolg gekrönten.

 

 

Kurfürst Friedrich V. von der Pfalz posiert hier als König von Böhmen. Die Insignien der Herrschaft werden sämtlich vorgezeigt. Ein eitler Fantast stellt sich in bedeutsamem Purpur zur Schau. Seine Stellung mit Stand- und Spielbein ist seltsam verdreht und bedarf der Stütze einer Kommode. Unter dem königlichen Umhang mit Schleppe lugt die Rüstung eines Kriegers hervor. Für die Sache des Protestantismus wollte er in den Krieg ziehen, aber der Geist des Protestantismus spricht weder aus dieser Pose noch aus dem Dekor. Als Glücksritter ohne politisches Gespür musste er scheitern und ins Exil nach Holland fliehen. Als Winterkönig, der ohne es zu ahnen den dreißigjährigen Krieg entfesselte und ihm zum Opfer fiel, ging er in die Geschichte ein.

 

Der von Napoleon abgesetzte letzte Kaiser Franz II. des Hl. Römischen Reichs zeigt sich in unziemlicher Haltung und strahlt depressive Bösartigkeit aus. Jetzt nur noch Kaiser von Österreich, ist ihm die Herrscherwürde verleidet und die Last schwer. Er hat seine Deklassierung nicht verwinden können. Die edlen schweren Insignien der Macht, die er lieblos in nachlässiger Pose vorzeigt, können seine seelischen Wunden nicht heilen.

 

 

Falsche - Posen

 

Temperamentfälschungen entstehen entweder wie bei A. Hitler aus Schauspielerei auf eigenen Wunsch, oder durch überhöhte Darstellung als Heldenverehrung von Nachfahren. Das betrifft vor allem Personen des negativen Geltungsdrangs, um eine „schwache“ Pose interessanter zu machen. Die historischen Dargestellten sind somit also „vogelfrei“, was ihre Abbildung betrifft. Dabei macht es keinen Unterschied, ob die falsche Darstellung auf Wunsch von Auftraggebern entsteht, oder der Fantasie des Künstlers entspringt.

 

 

Magellan wird in seinen Biografien als pedantischer Ordnungsmensch beschrieben, der für seine Expeditionen jede Kleinigkeit überwachte und berechnete. Niemals wird er seine Unterlagen nachlässig auf den Boden fallengelassen haben, und in exhibitionistischer Pose in knalligem Goldgelb sich präsentiert haben. Gold war nicht sein Ziel.

 

Die Zeichnung von Murad Bey von Dutertre entstand 1809, Murad starb 1801 an einer Seuche, als er mittlerweile sich mit den Franzosen gegen eine Invasion der Ottomanen verbündet hatte. Dass die dargestellte lockere Pose den französischen Geschmack bediente, lässt mich vermuten, dass die Zeichnung auch propagandistischen Zwecken diente. Ich ordnete Murad anfangs aufgrund der Pose dem falschen Temperament zu, aber der harte durchdringende Blick brachte mich auf die richtige Spur.

 

Galileo Galilei wird sich in seinem hohen Alter vor der hl. Inquisition 1632 kaum so auftrumpfend und exaltiert stampfend benommen haben, wie es Robert-Fleury 1847 in dem Gemälde dargestellt hat. Er war ein minutiöser Beobachter und Astronom, kein Mensch, der öffentliche Selbstdarstellung im Affekt vermuten lässt.

 

Auch heute lassen sich Politiker von Fotografen über ihre vorteilhafte Präsentation in den Medien beraten, damit die Pose ja nicht zu langweilig wirkt. Manche lassen sich das aufschwatzen und gefallen. Politiker sind ja auch Schauspieler. 

 

In meiner Posen-Verliebtheit habe ich die Posen von Magellan und Murad Bey Büchern entnommen, ohne die weiteren Bilder im Internet zu Rate zu ziehen. Da bin ich also reingefallen. Zum Glück ist mir dann doch die Diskrepanz zwischen Gesichtsausdruck und Pose aufgefallen, und ich bin der Sache nachgegangen.

Posen von historischen Personen, bei denen die Künstler das Wesen der Porträtierten in ihren Posen unverfälscht getroffen haben, z.B. bei dem hl. Bernhard, habe ich gelten lassen.

 

 

Tanzposen

 

Als besonderen Leckerbissen füge ich hier noch Bilder von Tanzposen an, die ich einer Abbildung im SPIEGEL entnommen habe. Sie lassen sich deutlich den vier Temperamenten zuordnen, links auf der feindlichen, rechts auf der freundlichen Schiene.

 

 

Der negative Geltungsdrang zeigt sich in der verhaltenen symmetrischen Pose, während der positive Geltungs-drang auffälliger asymmetrisch tanzt.