Niedertracht in Schachtelsätzen

 

Damit gute Menschen Böses tun, bedarf es der Religion (Steven Weinberg)

 

Die Niedertracht kommt hier auf Kothurnen hereinstolziert nach dem Motto: „Selig sind die Auserwählten, denn das Himmelreich ist ihrer.“ In Zeiten, wo die religiöse Selektion ihr mörderisches Unwesen steigert, mag es angebracht sein, Selektionsprinzipien in unserer religiösen Kultur nachzuspüren, welche in Rassismus und Völkermorden kulminieren.

Ich zitiere im Folgenden die Westminster Confession von 1647, eine Lehre von der Gnadenwahl (Prädestinations-lehre). Auf calvinistischer Grundlage wurde sie zur Richtschnur des Glaubens nicht nur militanter Sekten, sondern auch baptistischer, pietistischer, methodistischer und puritanischer Gemeinschaften.

 

  KAPITEL 9. (vom freien Willen)  Nr. 3: Der Mensch hat durch seinen Fall in den Stand der Sünde gänzlich alle Fähigkeit seines Willens zu irgend etwas geistlich Gutem und die Seligkeit mit sich Führendem verloren, so sehr, daß ein natürlicher Mensch, als gänzlich abgewandt vom Guten und tot in Sünde, nicht fähig ist, sich zu bekehren oder sich auch nur dafür vorzubereiten.

  KAPITEL 3. (Von Gottes ewigem Ratschluß)  Nr. 3: Gott hat zur Offenbarung seiner Herrlichkeit durch seinem Beschluß einige Menschen bestimmt (predestinated) zu ewigem Leben und andere verordnet (foreordained) zu ewigem Tode.  Nr. 5: Diejenigen aus dem Menschengeschlecht, welche bestimmt sind zum Leben, hat Gott, bevor der Grund der Welt gelegt wurde, nach seinem ewigen und unveränderlichen Vorsatz und dem geheimen Ratschluß und der Willkür seines Willens erwählt in Christus zu ewiger Herrlichkeit, und die aus reiner freier Gnade und Liebe, nicht etwa so, daß die Voraussicht von Glauben und guten Werken oder Beharrlichkeit in einem von beiden, oder etwas anderes in den Geschöpfen, als Bedingung oder Ursache, ihn dazu bewogen hätten, sondern alles zum Preise seiner herrlichen Gnade.  Nr. 7: Es gefiel Gott, die übrigen des Menschengeschlechts gemäß dem unerforschlichen Rat seines Willens, wonach er Gnade erteilt oder vorenthält, wie es ihm gefällt, zur Verherrlichung seiner unumschränkten Macht über seine Geschöpfe zu übergehen und sie zu ordnen zu Unehre und Zorn für ihre Sünde, zum Preise seiner herrlichen Gerechtigkeit.

  KAPITEL 10. (von wirksamern Berufung)  Nr. 1: Es gefällt Gott, alle die, welcher er bestimmt hat zum Leben, und nur sie, zu der von ihm festgesetzten und passenden Zeit durch sein Wort und seinen Geist wirksam zu berufen,…indem er hinwegnimmt ihr steinernes Herz und ihnen gibt ein fleischernes Herz, indem er ihren Willen erneuert und durch seine allmächtige Kraft sie für das, was gut ist entscheidet…

  KAPITEL 5. (Von der Vorsehung).  Nr. 6: Was die bösen und gottlosen Menschen betrifft, welche Gott als gerechter Richter um früherer Sünden willen verblendet und verhärtet, so entzieht er ihnen nicht allem seine Gnade, durch welche ihr Verstand hätte erleuchtet und ihre Herzen ergriffen werden können, sondern zuweilen entzieht er ihnen auch die Gaben, die sie hatten, und bringt sie mit solchen Gegenständen in Beziehung, aus welchen ihr Verderbnis eine Gelegenheit zur Sünde macht, und übergibt sie außerdem ihren eigenen Lüsten, den Versuchungen der Welt und der Macht Satans, wodurch es geschieht, daß sie sich selbst verhärten, sogar durch dieselben Mittel, deren Gott sich zur Erweichung anderer bedient.

 

Die vorstehenden Auszüge habe ich zitiert aus dem Werk Max Webers: Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus.

 

Die volle Niedertracht dieser Glaubenssätze entfaltet sich erst im Gemeindeleben, wo dann immerfort nach den Zeichen von Auserwähltheit oder Verdammnis und nach real existierenden Hexen und Teufeln gesucht wird. Wenn man nach den geistigen Grundlagen tyrannischer Willkürherrschaft und Selektionsrampen des Völkermords sucht, wird man hier fündig. Zunächst geht man in einer Gemeinde davon aus, dass in ihr die Guten vertreten sind, außerhalb ihrer die Bösen. Das führt dann aber zu fortgesetzter Heuchelei. Die Grundlage jeder Willkürherrschaft ist, dass sich niemand seines Gnadenstandes gewiss sein kann. Jede(r) muss um die Gunst des Tyrannen bangen. So muss sich überall ein schlechtes Gewissen breit machen, und auch innerhalb der Gemeinde nach Bösen gesucht werden. Als einzig Gerechte bleiben dann im Realvollzug nur die Schergen eines gottgleichen Despoten übrig, der Rest muss in der Hölle des Strafvollzugs schmoren, soweit er nicht der Vernichtung preisgegeben wird. An der Sündenhuberei entzünden sich Gerichtsfantasien, Schauprozesse und Fantastereien vom Jüngsten Gericht und und die Sehnsucht nach dem Armageddon.

 

Meines Wissens muss in allen Religionen, seien sie göttlich oder weltlich (Erlösungsideologien) begründet, die guten von den bösen Menschen gesondert werden, meistens aufgrund haarsträubender Prinzipien (Fiktionen). So kommt es dazu, dass all die „bösen“ Verbrecher, die man mit einem Schiff nach Australien schickte, sich schon auf dem Schiff sich in gute Böse und böse Böse aufspalteten. Schicke alle Guten auf eine Insel und alle Bösen auf eine andere zu gleichen Bedingungen, so werden spätestens nach zwei Generationen auf beiden Inseln ähnliche, wenn nicht gleiche Zustände herrschen.

                                                                           20.3.17