Long Bay

 

Der Flug über den Atlantik Mitte November 85 war vielversprechend. Vereinzelte Kumuluswolken schwebten wie Wattebäuschen über dem tiefblauen Meer. Die Hurricanesaison sollte in der Karibik schon vorbei sein, ideal, um Urlaub auf Jamaika zu machen. Mein Freund Richard hatte ihn angeleiert. Ein befreundeter Psychologe in Berlin hatte ihm sein Ferienhaus in Long Bay als Unterkunft überlassen, wo er in dem Jahr nicht hinwollte. Als wir uns der Karibik näherten, sahen wir ein Wolkengebirge auf uns zukommen. Aus, mit der wunderbaren Sicht, hinein in die Ausläufer eines verspäteten Hurricanes. Bei der Zwischenlandung in Montego Bay, die Landebahn war bei den tief hängenden Wolken im strömenden Regen erst in 50 Meter Höhe wahrnehmbar, konnten wir zum Glück sitzenbleiben und hoffen, dass es in Kingston anders sein würde. So war es dann auch, es regnete nicht mehr, und die Luft war diesig, die Erde dampfte.

Es war abgemacht, dass wir abgeholt werden sollten, so warteten wir auf dem Vorplatz. Niemand kam, man hatte uns sitzen gelassen. Nach zwei Stunden, die Dämmerung kündigte sich an, mussten wir etwas unternehmen, schließlich war Kingston als die kriminellste Hauptstadt verschrien. Wir heuerten einen Taxifahrer an, machten den Preis aus, und ab ging die Höllenfahrt. Wir hatten uns einem Sadisten ausgeliefert, der ständig fluchte, und in abenteuerlichen Fahrt, Schlaglöcher und Geröll nicht achtend, mittels der bereits ausgeschlagenen Stoßdämpfer uns ein Rütteltrauma verabreichen wollte. Nach etwa drei Stunden Fahrt über die Küstenstraße kamen wir dann nachts „gerädert“ in Long Bay an. Jetzt gab es nur noch das Problem, unsere Unterkunft zu finden. Richard wusste nur, dass es oben an einem Steilhang zu finden sein sollte. Da zeigte unser fluchender Taxichauffeur seine positiven Qualitäten, nach wenigen Erkundigungen setzte er uns am Fuß des Abhangs ab, und rief den wartenden Hausmeister herunter, ich will ihn Robert nennen. Der hatte uns abholen sollen, aber das hatte aus nicht nachzuvollziehenden Gründen nicht funktioniert. Er half uns, unser Gepäck den Steilhang hinaufzutragen. Er hatte uns zwei Zimmer in sauberem Zustand (eine Notwendigkeit) hergerichtet, und wir konnten uns in der Küche noch ein Abendbrot bereiten. Danach ließ er mich noch an einem Spliff (Hanfblüten pur) ziehen, Richard bediente sich an einer Rumflasche. So ließ sich der Schlaf nicht mehr vermeiden.

Am nächsten Morgen goss es in Strömen, und ich genoss eine warme Dusche unter der Traufe. Nach einem Frühstück mit Mitgebrachtem waren wir in der Lage uns einzurichten und unsere Umgebung zu prüfen. Das Haus war sehr solide in den Abhang eingefügt, die hinteren Zimmer direkt an den Felsen, die vorderen eine halbe Etage niedriger mit Terrasse davor. Weiter nach oben führte kein Weg. Ein Verhau von Luftwurzeln versperrte weiteren Aufstieg in den Regenwald. Das Regenwasser der oberen Etage wurde in einem Wasserbehälter gesammelt, sodass es Brauchwasser für eine Dusche gab. Eine kleine Küche gab es auch, für die wir Vorräte anschaffen mussten.

 

                      Blick vom "Feldherrenhügel" auf das Meer

 

Der Weg den Abhang hinunter führte an zwei Häusern vorbei zur Küstenstraße. Sie führte zu einer Anhöhe, wo es einen Bolzplatz, und gegenüber den Supermarkt gab. Dort wunderten wir uns über die Preise: Tomaten in Wasserbeutelqualität kosteten etwa 5 DM. Die Butter kam aus Neuseeland, die Milch auch aus dem Ausland, obwohl wir auf der Fahrt frei grasende Kühe gesehen hatten. Die Währung der Narco-Staaten ist meist überbewertet, sodass sich eine lokale Produktion nicht lohnt. Auf dem Rückweg hörten wir zum ersten Mal den Spruch Give me your plastic bag!

Robert gab uns gleich zu Anfang wertvolle Verhaltenshinweise. Er war erleichtert, dass wir auf getrennten Zimmern bestanden, da homosexuelle Anwandlungen in der Macho-Insel jeden zum Freiwild machen, wenn es auffällt und sich herumspricht. Kaufangebote sollten wir ablehnen, und Drogen gäbe es sicherheitshalber beim Hausmeister. Er selber rauchte auch tagsüber nur Spliffs, er nähme aber sonst keine anderen Drogen. So bestellte ich bei ihm gleich einen Vorrat von dem köstlichen Jamaikagrass. Das war billig, aber stark versamt – die beste Qualität geht in den Export. Wir hatten uns kaum etabliert, da kam schon ein Besucher hoch, der Drogen verkaufen wollte. Er hockte sich an den Tisch, und ich ging ins Haus. Als ich wieder nach draußen ging, war er verschwunden, und mit ihm meine Nagelschere, die ich auf dem Tisch hatte liegen lassen.

Der Sonnenschein quälte sich langsam durch den Dunst, es lockte das Meer und der Strand. Da es noch kühl war, machten wir eine Strandwanderung.

 

Blick vom nördlichen Ende der Bucht auf einen Teil derselben. Die touristische Bauruine ist zwischen den Palmenstämmen zu sehen.

 

Als erstes fiel uns eine Strandvilla auf, welche aber eine leer stehende Bauruine darstellte. Die Investoren hatten sich zurückgezogen. Überhaupt war der Strand fast menschenleer. Touristen waren bis in den Dezember hinein nicht zu sehen. Es gab auch kein Hotel. Dann kamen wir an einem Bretterzaun vorbei, in dem es einen Eingang gab mit dem Schild Fishermans Cove, daneben der Spruch Say no to drugs. Das erschien uns so vertrauenserweckend, dass wir hineingingen, und uns an einen Tisch setzten. Nebenan knallten drei ältere Rastas aggressiv Dominosteine auf den Tisch, und unterhielten sich in der gleichen Lautstärke. Ein junger Typ kam, uns nach unseren Wünschen zu fragen. Wir wollten was essen, aber es gab nichts, no Chicken, no Meat, no Fish. But come with me to the kitchen, we will see, what we can do. In der Küche werkelte eine Frau mit Aufräumarbeiten, und bestätigte, dass nichts Essbares vorhanden sei. So ließen wir uns einen Drink an den Tisch kommen. Aus einer Gruppe von herumlungernden Jugendlichen kam einer an unseren Tisch, und fragte, ob wir Drogen bräuchten. We are already satisfied, das wirkte, und wir wurden weiter nicht mehr beachtet. Dann kam die frohe Botschaft: We have chicken. Da wir annahmen, dass das Huhn erst noch geschlachtet werden müsse, hielt es uns nicht weiter an dem Tisch, und wir gingen seitwärts an einen Platz, von dem aus wir das Meer betrachten konnten.

Da sprach uns ein Jamaikaner mittleren Alters auf deutsch an: Im Sommer sei er in Berlin Taxifahrer, und den Winter verbringe er wieder in der Heimat. Er beobachte hier regelmäßig den Strand. Er sei groß genug und ideal, um Drogen anzulanden, was auch regelmäßig passiere. Sein Bruder habe einst einen Plastiksack mit Drogen aus dem Meer gefischt, und sei danach getürmt. Wohin, wisse er nicht, und das sei auch besser so. Dann kam auch endlich das chicken, und es schmeckte soweit erträglich, dass ich mich daran nicht mehr erinnern kann.

Wir setzten dann noch unseren Strandspaziergang fort, und begegneten einer aufgetakelten Frau, die uns ansprach und offenbar Kundschaft suchte. Wir gingen einfach weiter. Jetzt fehlte nur noch ein Bad im Meer. Dummerweise war ich Warnungen ignorierend in einem Bereich mit ablandiger Strömung eingestiegen. Sie zog mich weiter ins Meer hinaus, ohne dass ich dagegen anschwimmen konnte. Bloß keine Panik! Ich schwamm seitwärts aus dem Sog hinaus, und konnte wieder zurück an den Strand.

Als Tourist soll man ja was unternehmen, und so machten wir eine Busfahrt nach San Antonio, an den üblichen traumhaften Buchten und Stränden im Dunst vorbei. Die Ortschaft war nicht weiter bemerkenswert, so gingen wir noch Einkaufen und fuhren dann wieder zurück. Ein junger Deutscher stieg als Möchtegern-Rastafari zu, und setzte sich neben mich. Er fand Land und Leute ganz großartig, und stieg bald wieder aus.

Robert hatte uns informiert, dass Peter-Paul Zahl neben dem Supermarket sein Haus habe, mit einer damals leer stehender Ferienwohnung etwas unterhalb. Einquartierung dafür würde von seiner Mutter in Berlin besorgt. Richard, der in dieser Hinsicht weniger Hemmungen als ich hat, wollte P.-P. einen Besuch abstatten. Anlässlich des nächsten Einkaufs machten wir das auch. (Wer sich über sein abenteuerliches Leben informieren möchte, sei an das Internet verwiesen.) Unser Aufenthalt war nur kurz, da seine höchst attraktive Freundin, die ihn als Mulattin um Kopfeshöhe überragte, ins Zimmer trat. (Robert hatte uns erzählt, dass er seine vorherige Beziehung im Supermarkt entsorgt hätte.) Er versprach aber einen Gegenbesuch.

Der geschah dann an einem Nachmittag. Ich habe an ihn eher unangenehme Erinnerungen. Er saß am Tisch, und lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, und sprach leise in dem halligen Begegnungszimmer, sodass ich mich über den Tisch beugen musste, um überhaupt etwas zu verstehen. Er erzählte davon, dass er seine 10 Jahre im Knast abgesessen habe, dann aber bei der Suche nach einer neuen Bleibe in Jamaika fündig geworden sei. Der lokale Sheriff sei zu Besuch gekommen, um ihm auf den Zahn zu fühlen. Mit dem habe er sich auf Anhieb bestens verstanden. Er habe ihm zu verstehen gegeben, dass er in Jamaika nur Geld mit der Vermietung seines Gästehauses verdienen wolle, und eine Serie von 14 Kriminalromanen über Jamaika schreibe, für jede Provinz einen. Die würden in Deutschland erscheinen, und dorthin würde er einmal im Jahr zu Lesungen und Besprechungen reisen. Dann sprach er davon, dass es in Long Bay recht kriminell zugehe, sodass er sich überlege, zusätzlich zu seiner Pistole sich noch eine Knarre zuzulegen. Aber er mische sich in die hiesigen Angelegenheiten weiter nicht ein. Er hatte ein Exemplar seines letzten Kriminalromans mitgebracht, welches er mir für 25 DM reindrückte. Ich las das später zuhause, und war von seiner vulgären Macho-Schreibe dermaßen abgestoßen, dass ich das Buch dem Container überantwortete. Später begegnete ich ihm noch einmal am Strand, wo sich unsere Blicke kurz trafen, und er mir durch Abwendung zu verstehen gab, sich ihm besser nicht zu nähern.

Bislang hatte es noch keine freundliche Begegnung gegeben, und so begann der Frust zu nagen. Am Strand hatte ich mir ein Plätzchen ausgesucht, wo ich allein sein konnte und wollte, da sah ich die Aufgetakelte auf mich zukommen. Nicht schon wieder!, dachte ich und drehte mich auf den Bauch. Da musste ich eine Beschimpfung über mich ergehen lassen. Richard hatte sich zu der Give me your plastic bag-Frau am Fuß des Abhangs, wo sie ihr Haus hatte, auf ihre Aufforderung hin gesetzt, um Konversation zu machen. (Einen Ehemann bekamen wir nie zu sehen.) Sie bedeutete ihm: I like gold. Nach einem Einkauf versperrte mir ein Zehnjähriger bei der Abbiegung den Weg, Give me your plastig bag, und führte mir seine Kampftechniken als Pantomime vor.

Abends halfen dann die Drogen, den Tag würdig oder unwürdig zuende zu bringen. Ich rauchte meinen Joint, und wollte nur noch die Bettschwere erreichen. Es war schon alles gesagt, und ich wollte den Abend auf der Terrasse nur noch besinnlich ausklingen lassen, da kam Richard wieder ziemlich alkoholisiert wankend aus seinem Zimmer - er könne noch nicht schlafen-, und wollte weiter quatschen. Er suchte Halt an der Begrenzungsleine der Terrasse, der war aber nicht gegeben, und er stürzte die Leine mit sich reißend drei Meter den Abhang hinunter, ohne sich zum Glück ernsthaft zu verletzen. Danach war ihm seine Unternehmungslust vergangen. Er wollte jetzt den Feldherrenhügel nicht mehr verlassen. Weitere Exkursionen lehnte er ab, auch die Erkundung der Ortschaft, die unter Bäumen verborgen lag, und von deren Ausdehnung wir nichts wussten. Es sollte da an die zwanzig churches geben, was man wohl am besten mit Religionsgemeinschaften übersetzt, da von Kirchtürmen nichts zu sehen war.

Jetzt musste ich allein zum Supermarket pilgern. Mit zwei dick gefüllten Plastiktüten ging ich jetzt bangen Herzens an den bolzenden Halbwüchsigen vorbei, die mir mit Drohgebärden und dem Standardspruch G-m-y-p-b den Raub des Einkaufs ankündigten, was dann aber doch nicht geschah.

Robert erzählte uns von den prekären familiären Verhältnissen. Die meisten Eheleute würden getrennt in promis-kuitiven Verhältnissen leben, aber irgendwie könne man sich arrangieren. So war es auch bei ihm. Seine Kinder kamen ihn und uns zusammen mit der Mutter besuchen. Gemeinsam gingen wir ohne Robert an den Strand. Dort war zumindest das ständige Gescholler des Reggae nicht zu vernehmen, welches zunehmend nervte.

 

Strandszene mit Kindern von Robert und deren Mutter

 

Schale Freuden am Meer

 

Ein einziges Mal kaufte ich eine Zeitung. Darin konnte ich lesen, dass eine ausländische Delegation auf der Fahrt zu einem Gästehaus der Regierung im Landesinneren überfallen und ausgeraubt worden sei. Jetzt ging es nur noch darum, den Urlaub bis zum Abflug möglichst ohne Komplikationen hinter uns zu bringen.

In der Wartehalle des Flughafens kamen wir mit einer jungen Deutschen ins Gespräch, die in Kingston ein Restaurant aufgemacht hatte. Sie erzählte von dem ständigen Schwund der Lebensmittel, der ihr Projekt in die Pleite zu treiben drohte. Sie habe dann zu Feierabend ständige Taschenkontrollen und Leibesvisitationen eingeführt, welche von ihren Angestellten klaglos hingenommen worden seien, worüber sie sich am meisten wunderte. Es gab dann noch die Drogenkontrolle bei der Abfertigung, vor der man uns gewarnt hatte. Aber da fängt man nur kleine Fische um zu zeigen, dass was gegen die Drogen unternommen wird. Abflug mit Erleichterung.

 

Traurige Tropen

 

Erst jetzt bei der Niederschrift der Erlebnisse habe ich mir Gedanken gemacht über die unterschwellige wie offene Feindschaft in der Ortschaft gegenüber Touristen. Klar dürfte sein, dass Touristen am Strand und Drogenanlandung sich beißen. Es müsste da auch eine Filiale des Drogensyndikats gegeben haben, die dafür gesorgt haben dürfte, dass solche Begegnungen nicht vorkommen würden - daher die touristische Bauruine. Waren die drei herum-lungernden Halbwüchsigen in Fishermans Cove etwa nicht nur für den Kleinvertrieb, sondern auch für die Bergung der Konterbande zuständig? Es wird sich wohl um Kokain für die Befriedigung der Nachfrage auf der Insel gehandelt haben, wie ich es auch direkt auf Vulcano erleben durfte. Verzichtete der Eigentümer unserer Bleibe in Kenntnis des Sachverhalts auf ein Kommen, und kamen wir deshalb in den „Genuss“ unseres Albtraumurlaubs? Hatte das Syndikat etwa die Ortschaft fest im Griff? Besser, sich erst hinterher Gedanken zu machen.