Werdegang eines minderbegabten Musikers

 

Meine Mutter sang viel den ganzen Tag über. Ich machte sie schon früh nach zum Ergötzen der Verwandtschaft, wenn sie zu Besuch kam. Als meine Mutter mich zum erstenmal in ein Kirchenkonzert mitnahm, krähte ich in die Stille nach einer Arie: „Mama, war das aber schööön“, zum unterdrückten Gekicher der Gemeinde. Als Komiker hatte ich meine ersten Erfolge. Als mein Vater aus der Gefangenschaft zurückkam, sollte daraus etwas Seriöseres werden. Ich wurde ans Klavier gesetzt und von ihm dabei beaufsichtigt. Er sah mich als zukünftigen Begleiter seines Geigenspiels. Choralbegleitung und Improvisation an Klavier und Orgel waren seine größten musikalischen Stärken. Ich konnte mich allerdings für das Klavierspiel nicht sonderlich begeistern, und über einen Vortrag in einem Schulkonzert gingen meine Erfolge nicht hinaus. Später gab ich es dann ganz auf.

An dem Gymnasium war der Musiklehrer dabei, ein Schulorchester aufzubauen. Geiger, Bratscher und Cellisten gab es bereits, es fehlte noch ein Kontrabassist. Eines Tages lag ein Kontrabass im Musiksaal, und ein Spieler wurde in den höheren Klassen (wegen der Größe des Instruments) gesucht. Niemand meldete sich. Da ich schon damals heimlich mit dem Jazz liebäugelte, nachts heimlich, das Radio am Ohr, der „Jäbbelmusik“, verhasst von meinen Eltern lauschte, sagte ich: Ich mach´s. Ich bekam dann Unterricht von dem Kontrabassisten des Ristenpart-Kammerorchesters in Saarlouis, und durfte schon nach 3 Monaten im Musiksaal mitmachen. Wie es damals wohl geklungen haben mag, darüber schweigt des Musikers Höflichkeit.

Nachdem ich das Abitur als bester meiner Klasse bestanden hatte, bekam ich einen Weinkrampf: weil ich nicht wusste, was ich werden sollte. Meine Mutter hatte immer gesagt: „Mach du erst mal dein Abitur, dann wird man weitersehen“. Ich hatte nicht bedacht, dass das Leben nach dem Abitur weitergeht.

An der Uni sollte ich zunächst in die Fußstapfen meines Vaters treten, aber der Massenbetrieb konnte mich nicht reizen, so brach ich nach dem ersten Semester an der Uni wieder ab. Als Bassist der Do-Re-Mi Tanzkapelle verdiente ich schon mein erstes hart verdientes Geld, hatte aber in den Niederungen der Musik kein langes Durchhaltevermögen. Die Musiker wollten zwar Jazz machen, aber auch Geld. So musste man sich den Wünschen der Veranstalter beugen und Tanznummern spielen, höchstens einmal etwas Jazziges einschieben. Bei einem Tanzmusikauftritt in Forbach (Mosel) in einem zugigen Lokal bekam ich den heftigsten Hexenschuss meines Lebens, wobei ich kaum noch den Bass halten konnte, und wurde auch noch ausgelacht. Bald darauf habe ich meine Mitwirkung eingestellt.

Nach einem Kampf mit meinen Eltern durfte ich mich an der Musikhochschule Saarbrücken einschreiben mit Kontrabass als Hauptfach. Man kann also sagen, ich wurde Musiker aus Verlegenheit, der Berufung ermangelnd. Die unzureichende Besessenheit begleitete mich durch das Leben.

Mein Lehrer an der Hochschule war der Solobassist des Opernorchesters. Er war vom Schicksal und in Folge dessen vom Alkohol gezeichnet. Er hatte seine ganze Familie im Bombenhagel von Dresden verloren, und war im Unterricht nur nüchtern, wenn er abends Dienst hatte. Er ließ mich mehr oder weniger den Unterricht selber gestalten. So konnte ich kaum besser werden und wechselte an die Musikhochschule in Köln, wo ich Unterricht nahm bei dem Solobassisten des Gürzenich-Orchesters Hans Detering, dessen Schüler durchweg gute Stellen besetzen konnten. Als ich ihm mein Bravourstück vorführte, sagte er zu mir: Wenn Sie bei mir Unterricht nehmen wollen, dann müssen wir wieder ganz von vorne anfangen. Ich musste dann Tonleitern spielen, mit lang gezogenen Tönen. Vor allem störte ihn die Unart des Nachziehens bei Strichwechsel, welche bei allen Streichern weit verbreitet ist, und den Tönen zum Abschluss einen melodramatischen Schweller verleiht. Es nervt mich noch heute, dass diese Angewohnheit des Nachdrückens bei allen Streichern gang und gäbe ist. Meinen Lehrer in Köln habe ich sowohl fachlich wie auch menschlich hochachtungsvoll in Erinnerung.

Dort gab es auch eine Jazzklasse, die von einem kumpelig humorvollen Saxofonisten geleitet wurde. Bald kam ich auch in einem Jazzquartett unter. In der Kantine gab es eine anregende Diskussionskultur. Im Gürzenich-Orchester durfte ich als Aushilfe erste Erfahrungen in einem professionellen Klangkörper sammeln.

Noch vor der Abschlussprüfung erfuhr ich, dass mein ehemaliger Lehrer in Saarbrücken gestorben war. Zu dem dann fälligen Probespiel meldete ich mich an. Der stellvertretende Solobassist sah sich schon als sicherer Gewinner der Stelle, aber es gelang mir, ihm die Position wegzuschnappen. Mein Einstieg in den Orchesterdienst war ausgesprochen haarig. Es stand eine Wiederaufnahme der Oper Salome von R. Strauss bevor mit nur einer Probe und einem Aushilfsdirigenten, der mit den Taktwechseln nicht klarkam. Es gab unter den Kollegen eine Debatte, ob man mir diese Aufgabe zumuten könne. Da ich bei dieser Oper bereits einmal in Köln mitgemacht hatte, wusste ich, worum es ging. Ich sagte: Wenn ich schon der Solobassist bin, dann mache ich das auch. Es gibt in der Oper ein Kontrabass-Solo mit einem hohen B jenseits des Griffbretts, welches das Gestöhn der Salome simuliert. Die Schwierigkeit bestand darin, diesen Ton, der danach von der Sängerin übernommen wird, in dem Orchestergebrodel zu treffen, und dabei den Einsatz nicht zu verpassen. Es gelang mir dann tatsächlich, den richtigen Ton zu treffen, und mein Stellvertreter, der mir ganz aufgeregt den Einsatz gab, verpasste dabei seinen Einsatz, der das hohe B verdoppelt. Ich bekam Glückwünsche, und sah meine Position dadurch gesichert. Die Stelle war auch mit einem Lehrauftrag an der Musikhochschule verbunden.

Anfang der 60er-Jahre wurden die Orchestermusiker zwar immer schon besser bezahlt als die Mitglieder des Chors oder des Balletts (dank der Musikergewerkschaft gefördert von Richard Wagner), aber der Geiz führte dazu, dass es im Stimmzimmer am Waschbecken keine Seife, sondern nur Seifenpulver gab; außerdem war die Beleuchtung der Notenpulte auf 30 Volt transformiert, da die Birnen geklaut worden waren. In der Kantine wurde der neueste Tratsch gehandelt: Dort erfuhr ich zum Beispiel, dass eine Ballettaspirantin, wenn sie mehr als eine Aushilfsstelle ergattern wollte, dem Intendanten – er hieß trefflich Philipp Wüst – besondere Dienstleistungen erbringen musste.

Ich wähnte mich schon in einem unaufhaltbaren Aufstieg und wurde vom GMD Siegfried Köhler auch solistisch gefördert. Meine Stelle war mit einem Lehrauftrag an der Musikhochschule Saarbrücken verbunden, und die Schülerzahl der Kontrabassisten dort vervielfältigte sich, aber ich hatte nicht vor, mein Leben im Orchestergraben bis zur Pensionierung weiterzuführen. Die Karotte oder besser Marotte eines Jazzmusikers schwebte mir vor der Nase und an dienstfreien Abenden konnte ich im Jazzkeller HADES einsteigen. Dort machte ich die Erfahrung, dass auch die leisen Töne – einen E-Bass gab es noch nicht – gehört werden. Immer wenn der Saxofonist röhrte, der Pianist hämmerte und der Schlagzeuger auf Felle und Metalle eindrosch, wurden auch die Nichtzuhörer laut, wenn es dann leise wurde, weil ich mein Solo abliefern durfte, verschlug es auch dem Publikum die Unterhaltung, und wenn ich dann gleich zu Anfang die Zwirbelsau rausließ, wurden auch die Gäste still, und hörten tatsächlich zu. Ich musste aber schlucken, als der Hauspianist Fritz Maldener tönte, ich spiele zu „fleißig“, was zu der Zeit ein Schimpfwort war.

Es gab allerdings schon die ersten Anzeichen, dass mein Aufstieg nicht grenzenlos sein konnte. Durch das ständige Üben und mein Engagement als Gruppenführer hatte sich im rechten Handgelenk ein Überbein gebildet, welches Schmerzen bereitete. Da traf es sich, dass in Wien einen Wettbewerb für angehende Jazzmusiker gab, zu dem ich mich meldete. Dort war man von meinem exzentrischen Spiel nicht sonderlich begeistert. Der Bassist in der Jury gab mir den Rat: Learn to walk. Er meinte damit, ich solle im 4/4-Takt marschieren. Es war ein Rat, den ich erst viel später und in einem anderen körperlichen Sinn beherzigte. Ich sah dort auch einen amerikanischen Bassisten, den ich nur Bass spielend sah, ob im Wartezimmer, oder in der Straßenbahn. Dort hatte er das Futteral seitlich geöffnet, die linke Hand unter das Futteral hindurch zum Griffbrett geschoben. Dieses Ausmaß an Besess-enheit ging mir ab. Das ist wohl der Grund, warum aus meiner Jazz-Karriere (zu meinem Glück) nichts wurde. Ich hatte ja schon eine Planstelle, rang also nicht um meine Existenz. Ich machte in Wien aber die Bekanntschaft von Wolfgang Dauner, der in Wien der Begleiter der Wettbewerber war, und der mich zu ein paar zu privaten Sessions, Aufnahmen und Auftritten einlud. Das sollte meine weitere Entwicklung in der kommenden Zeit beeinflussen.

Am Süddeutschen Rundfunk wurde eine Kontrabassstelle frei, zu der ich mich bewarb, und die ich auch bekam. Die Umstellung fiel mir nicht leicht: Ich musste meinen Ehrgeiz zügeln, da ich jetzt am letzten Pult spielen musste. Im Nachhinein betrachtet war diese Entwicklung für mich eher segensreich, da es mich von dem Zwang der Groß-artigkeit befreite. Meine Herzensangelegenheit war immer noch der Jazz, und dafür hatte ich jetzt hinreichend Zeit. Ich erfuhr von anderen Musikern, dass die Existenz eines Notensklaven für kaum jemanden die Erfüllung seiner existentiellen und musikalischen Bedürfnisse darstellt. Das Gehalt kommt ja sowieso, oft wird die Anzahl von Muggen (Musikergelegenheitsgeschäfte) der Maßstab der eigenen Bedeutung, woraus bei der Verteilung einiger Streit entsteht. Andere Musiker schließen sich zu Kammermusikformationen zusammen, wieder andere versuchen sich als Dirigenten. Aber auch Tätigkeiten außerhalb der Musik dienen der Selbstbestätigung.

Ich reiste auch zu einem Probespiel zu den Berliner Philharmonikern, aber mit Flugzeug ohne Instrument. Deshalb wurde ich noch vor dem Probespiel vom Solobassisten, der auch Orchestervorstand war, zusammengeschissen. Aber auch auf einem gestellten Bass konnte ich die anwesenden Musiker so weit überzeugen, dass man mich noch zu den schwierigen Stellen aus der Literatur hören wollte. Dazu drückte man allen Teilnehmern einen Fünf-saiter (reicht bis zum Kontra C) in die Hand. Damit waren meine Mitbewerber aufgeschmissen, die das nicht gewohnt waren. Ich spielte schon in Saarbrücken und Stuttgart auf einem Fünfsaiter, und kam deshalb gut zurecht. So kam es, dass man mich zwar nicht nahm, was ich heute in Kenntnis der dortigen strengen Sitten als ein Glück betrachte, aber ich wurde als Einziger zum nächsten Probespiel eingeladen. Das nahm ich allerdings nicht mehr wahr.

In Stuttgart war das Leben unter dem Dirigenten Müller-Kray doch wesentlich geruhsamer. Er war auf ausgiebige Proben nicht erpicht, und beendete sie stets vor der Zeit. Während der Pausen sah man ihn in der Kantine die BILD-zeitung lesen.

Hier mag es sinnvoll sein, eine Kurzfassung der Entwicklung der Rundfunk-Sinfonieorchester einzuschieben. Nach dem Krieg, als es noch keine Tonbandgeräte gab, waren die Rundfunkorchester bessere Kurorchester. Die Musiker mussten morgens in der Frühe zum Muntermachen und am Nachmittag zur Teestunde die Hörer unterhalten. Was gespielt wurde, wurde gehört und verschwand im Äther. Es wurde kaum geprobt, und es herrschte ein reduzierter Qualitätsstandard wie bei einem Kurorchester. Ein Schlagzeuger, der von Anfang an dabei war, erzählte mir, dass er und andere Musiker das Metier an der Stadtpfeife gelernt hätten. Dann gab es erste Aufnahmen mit einem gedellten Draht. Bald darauf wurden die ersten Tonbänder bespielt. Damit wurde jeder Fehler konserviert, und bei wiederholtem Abspielen hätten die Hörer nur auf den Fehler gelauert. Deshalb musste sich längerfristig ein hoher Qualitätsstandard etablieren, höher als zum Beispiel in einem Opernorchester. Jetzt konnten auch anspruchsvollere Werke aufgenommen werden. Aber die Umstellung mit dem vorhan-denen Personal sollte noch eine Weile dauern.

So kam es, dass seinerzeit die Musiker eine eher ruhige Kugel schieben konnten, da auch die Patzer herausge-schnitten werden konnten. Nach einem mitgeschnittenen Konzert gab es manchmal Nachaufnahmen auf Wunsch der Regie.

Die ersten Abstecher gab es anfangs nur in der engeren Umgebung im Bereich der Sendemasten, die sogenannten Filderkonzerte. Die einzigen längeren Abstecher gingen jährlich eine Woche lang zur Spargelzeit nach Schwetzingen, wo der Müddeutsche Rundfunk im Rokoko-Theater des Schlosses Kammeropern darbot, wo nur in kleiner Besetzung gespielt werden konnte. Das war bei den Musikern sehr beliebt, weil dann die Mehrheit frei hatte. Zu dieser Zeit war Schwetzingen ein Zentrum des bürgerlichen Nepps, und der Aufendhalt in einem Hotel war sündhaft teuer. Meinen Vorgänger hatte einmal ein Kollege nachts im Wartesaal des Bahnhofs gesehen, wie er nachts mit einer Zeitung zugedeckt auf einer Bank schlief, um die Spesen nach Hause zu bringen. Der Spargel kostete da deutlich mehr als in Stuttgart. Ein Restaurant, in dem die VIPs im Smoking tafelten, besuchte ich nur einmal. Ich hatte eine Spargelmahlzeit bestellt - es sollte ein Pfund sein - und wartete und wartete, bis ein Teller mit etwa 300 g eintraf. Ich nahm den Teller, brachte ihn in die Küche, und machte dort eine Szene, die mir noch ein paar Stangen einbrachten. Ich quartierte mich in einem Nachbarort ein, wo ich in einem Appartement mich selbst beköstigen konnte. Über den Sendebereich gingen die Abstecher nicht hinaus, so dass ich froh war, nicht in einem Reiseorchester angestellt zu sein. Das sollte sich aber danach mit den höheren Qualitätsansprüchen der Rundfunkorchester ändern. Es wurden nach und nach Tourneen in ganz Deutschland und ferneren Ländern organisiert, manche erfreulich, andere weniger.

 

Ich möchte jetzt nicht weiter chronologisch meinen Werdegang schildern, sondern einige ungewöhnliche Ereignisse einschieben, welche bei einem recht perfekt durchorganisiertem Kulturapparat zwar selten vorkommen, aber wenn dann doch, eine umso mehr befremdliche Wirkung haben, welche in Erinnerung bleibt.

In der Kölner Oper durfte ich während des Studiums bei dem Ballett Nussknacker-Suite von Tschaikowski als Aushilfe mitmachen. Gerade war das Kinderballett abgetreten, da gab es auf der Bühne einen polternden Donnerschlag. Wir Kontrabassisten unter der Vorbühne hörten auf zu spielen, klemmten schon die Bögen unter die Saiten, und machten uns startklar zur Flucht, während der Dirigent und die Streicher mit Blick auf das Bühnengeschehen unverdrossen ohne Schrecksekunde weitermachten. Dem Orchestergraben drohte keine Gefahr, also ging es weiter. Danach erfuhr ich, dass auf die Hinterbühne eine Bühnenkulisse mitsamt Gegengewicht niedergegangen war.

Lachkrämpfe auf offener Bühne sind wegen ihrer Peinlichkeit und der Ansteckungsgefahr besonders heikel. Je mehr man sie unterdrücken will, umso länger dauern sie an.

In Saarbrücken wurde auf der Kammerbühne Die Geschichte vom Soldaten geprobt und aufgeführt. Dieses Stück spielt in kleiner Besetzung. Bei einer Aufführung kiekste der Klarinettist in einer heiklen schnellen Passage aus 10 Tönen. Jeder Musiker weiß, dass ein Kiekser auf der Klarinette klingt, als würde man einen Säugling erstechen (So stelle ich mir das vor). Fortan hörte man den Klarinettisten im Stimmzimmer dauernd die Stelle üben. Ein Amateurdirigent aus Lothringen hatte Geld locker gemacht für eine Aufführung auf einer kleinen Bühne in Forbach. Es gab eine Probe in Saarbrücken, bei der sich zeigte, dass der Dirigent mit den häufigen Taktwechseln nicht klarkam. Bei der Aufführung wurde es zunehmend makaber: Es kleckerte und holperte, die Einsätze wackelten. Wir wenige Musiker wurden auf offener Bühne von einem Spot angestrahlt. Wir bangten schon der Klarinetten-Stelle entgegen, und die kam dann auch mit dem grausigen Kiekser. Ich konnte mich nicht an mich halten, und musste lachen; dem Fagottisten neben mir ging es genauso, wie auch den anderen neben mir. Wenn einer aufhörte, fing ein anderer wieder an. Bewundernswert war, dass der Fagottist zwischendurch noch seine Einsätze bringen konnte. Es ging bestimmt 5 Minuten so weiter, die ausgeleuchtete Peinlichkeit wollte kein Ende nehmen, zum Glück dann aber doch das Stück.

In der Liederhalle wurde das verschrobene Klavierkonzert von Pfitzner aufgeführt. Das reizt schon ohne Patzer zum Lachen. Vor der großen Klavierkadenz braut sich im Orchester ein sinfonisches Getümmel auf, welches mit einer Quart aufwärts im Fortissimo von 2 Hörnern allein unisono enden soll. Beide verbliesen die 2 Töne grausamst. Die Pianistin war vom Schreck gelähmt, und setzte erst 2 Sekunden später ein. Ich versuchte mich hinter dem Griffbrett zu verstecken, und bedauerte die Bläser.

Zum Lachen brachte mich und meinem Pultnachbarn Stücke, welche Ratschdibumm, Hoppla-jetzt-komm-ich daherkommen, wie z.B. die Pathetique von Tschaikowki, oder Neues vom Tage von Hindemith, auch ohne dass etwas vergeigt wurde.

Die schlimmste Peinlichkeit erlebte ich in der Oetkerhalle in Bielefeld, wo Neville Marriner Aus der Neuen Welt von Smetana dirigierte. Jeder, der klassische Musik liebt, kennt den harmonieseligen ersten Satz mit seiner einprägsamen Melodie. Alle im Orchester waren der Ansicht: Das haben wir drauf, da kann nichts danebengehen. Als dieses Thema von dem Klarinettisten wieder aufgenommen werden sollte, setzte er einen Takt zu früh ein. Die Bläser schlossen sich der Klarinette an und „stiegen um“. Die Streicher hingegen spielten vorschriftsmäßig weiter. Jetzt gab es minutenlang ein Hin und Her, je nachdem welche Bataillone gerade die stärkeren waren. Das Ergebnis war eine grausige Kakofonie, umso schlimmer, weil alles so harmonisch klingen soll. Der Dirigent war völlig konsterniert, und agierte hilflos. Es blieb nichts anderes übrig, als wieder von vorne anzufangen. Hätte ich gelacht, wären mir die Einzelheiten dieser psychologisch hoch interessanten Situation entgangen.

Zu N. Marriner: Er kam zum RSO, als seine Geigerkarriere schon zu Ende ging. Seine Darbietung von Beethovens Violinkonzert wurde nachgerade für empfindliche Ohren zu einer Peinlichkeit. Die schnellen Sätze gingen noch in routiniertem technischem Können über die Bühne, aber der langsame Satz, der extreme tonliche Qualitäten erfordert, wurde für ihn und die Musiker eine Enttäuschung. Eine Geigerin äußerte, dass er mit dieser Darbietung nie eine Tuttistenstelle hätte bekommen können. Der Beifall und die Kritik galten dann vor allem seinen Leistungen in der Vergangenheit. Für das Geigenspiel war er zu alt geworden. Natürlich hatte er das auch selber gemerkt, gab es auf, und verlegte sich, da er sich noch nicht als pensionsreif ansah, auf die Dirigententätigkeit. Als ich zufällig mit ihm und Kollegen im Aufzug stand, erzählte er, wo es ihm beim Geigenspiel überall weh getan hatte. Aber seit er dirigiere, seien seine Schmerzen verschwunden. Es ist eine Tatsache, dass die Lebenserwartung von Dirigenten durchschnittlich merklich größer ist, als die von Musikern.

 

Unter den Fehlleistungen gibt es auch die Momente atemberaubender Stille. Einem Dirigenten, der aufgrund früherer Erfolge als Gnadenbrot Bruckners Achte darbieten durfte, passierte im Scherzo die Fehlleistung, dass er nach dem Halbschluss, der sich schon wie ein echter Schluss anhört, aufhörte zu dirigieren. Der Nachhall verklang, und Stille trat ein. Ich sah im Publikum Studenten in ihren Partituren blättern. Wie sollte es weitergehen? Der Pauker, der das Scherzo fortführen soll, setzte nach einigen Schrecksekunden wieder im Pianissimo ein, gefolgt von den Geigern, zunächst an den vorderen Pulten, und der Dirigent merkte seinen Irrtum, und machte weiter.

 

Wird gelegendlich ergänzt und fortgeführt. Es kommt noch Sergiu Celibidache.